Die "Heidelberger"-Kultur nach A.Rust
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Die 'Heidelberger Kultur' nach A. Rust: Befunde, Herstellungstechnik, Typenspektrum und Funktion


© 1992 ff. Dirk Siebers M.A. (2007 für das Internet neu formatiert und aus Copyrightgründen ohne Abbildungen) [noch in Bearbeitung]

Dirk Siebers

Sievekingsallee 109 I.

20535 Hamburg





09.210 Hauptseminar
"Forschungsprobleme zum Ursprung und zur Frühesten Geschichte des Menschen"
Von Prof. Dr. Helmut Ziegert im Sommersemester 1992


Thema 7:


„Die 'Heidelberger Kultur' nach A. Rust: Befunde, Herstellungstechnik, Typenspektrum und Funktion“.

Gliederung

I. Einleitung

1. Problemstellung

2. Themenabgrenzung

3. Forschungsstand

4. Quellenlage

5. Methodischer Ansatz

II. Wie definiert A. Rust die "Heidelberger Kultur"?

III. Die Befunde

1. Wittenbergen/Wedel

2. Vinzier (Bad Oldesloe)

3. Morsum (Sylt)

4. Grafenrain bei Mauer (Heidelberg)

5. Stukenbrock (Bielefeld)

6. Krefeld

7. Ziegehain (Hessen)

8. Meiningen (Thüringen)

9. Donauterrassen bei Wien

10. Greding (Süddeutschland)

11. Höwenegg / Hegau

12. Chantal

13. Nordafrika

14. Peru

15. Sonstige

IV. Das Typenspektrum

V. Die Herstellungstechnik

VI. Die Funktion Griffteil / Wirkteil

Modellbildungen und aktualistische/ethnologische Vergleiche

VII. Die "Heidelberger Kultur" in der damaligen wissenschaftlichen Debatte

VIII. Die "Heidelberger Kultur" aus heutiger Sicht

IX. Literatur


I. Einleitung
I. 1: Problemstellung

Es soll untersucht werden, anhand welcher Funde und Befunde und wie Alfred Rust seine Heidelberger Kultur definiert und begründet. In einem zweiten Schritt soll die Resonanz der Fachwelt auf seine Forschungen betrachtet werden. Zum Abschluss soll eine Bewertung von heutigem Forschungsstand aus gegeben werden.



I. 2. Themenabgrenzung

Räumliche und zeitliche Begrenzung werden sich aus der Rust'schen Definition seiner Heidelberger Kultur ergeben, die sachlichen Aspekte sollen zunächst die vier im Thema genannten sein.



I. 3. Forschungsstand

Nachdem RUST mit seinen Ideen und Publikationen Ende der 1950er bis Anfang der 1970er Jahren für hitzige Diskussionen gesorgt hatte mit dem Ergebnis, daß eine „Heidelberger Kultur“ von den meisten Fachwissenschaftlern verworfen und die „Heidelberger Typen“ als Pseudoartefakte und als durch geologische Einflüsse geschaffen abgelehnt wurden, wurde es danach und besonders nach dem Tode von RUST (1983) still um seine Ideen, die praktisch nicht mehr diskutiert wurden. Erst Anfang der 1990er Jahre setzt in Teilen eine Neubewertung und vorsichtige Rehabilitierung der Rust’schen Ideen ein.



I. 4. Quellenlage

RUST legt seine Ideen und Vorstellungen zur „Heidelberger Kultur“ hauptsächlich in drei Büchern vor. „Artefakte aus der Zeit des Homo Heidelbergensis in Süd- und Norddeutschland“ 1956, „Über Waffen- und Werkzeugtechnik des Altmenschen“ 1965 und „Werkzeuge des Frühmenschen in Europa“ 1971, sowie in mehreren Zeitschriftenartikeln (siehe Literaturverzeichnis).

Problematisch ist die Beurteilung der behandelten Fundstücke anhand von Zeichnungen hinsichtlich ihres Artefaktcharakters, da (angenommene) Bearbeitungen deutlich herausgestellt werden. Eine Zeichnung ist ja immer schon eine Interpretation - man zeichnet nur was man sieht, nicht was alles potentiell vorhanden ist - deshalb ist es hier nicht möglich, die Diskussion Artefakte oder Pseudoartefakte, besonders nicht im Einzelfall, zu entscheiden. Die Kritik an RUST wurde hauptsächlich mündlich auf Kongressen oder in Rezensionen seiner Bücher formuliert.



I. 5. Methodischer Ansatz

Es sollen die Rust'schen Publikationen sowie die Publikationen anderer Verfasser, die sich mit der „Heidelberger Kultur“ beschäftigen, hinsichtlich der angewandten Methoden sowie deren Ergebnisse überprüft werden. Die angeführten Befunde sollen auf Stratigraphie und Zuordnung überprüft, bei den Fragen zur Herstellungstechnik und Funktion soll mit dem Instrument des aktualistischen Vergleichs gearbeitet werden. Es sollen auch Modelle für die Funktion gebildet werden.





II. Wie definiert A. RUST die „Heidelberger Kultur“?
Träger dieser Kultur(en) ist der Homo Erectus. Der Unterkiefer eines Homo Erectus, der im Jahre 1907 in der Sandgrube Grafenrain bei Mauer (Heidelberg) gefunden und als „Heidelberger Mensch“ bekannt wurde, wurde für die Namensgebung herangezogen nachdem RUST in der Grube Artefakte fand, die ähnlichen Stücken aus Norddeutschland glichen. Drei Typen sind kennzeichnend für die „Heidelberger Kultur“: Nasenschaber, Querhobel und Schaber mit zitruslamellenförmigem Querschnitt.

Das Material ist nur selten Flint. Faustkeile, wie auch andere in Biface-Technik hergestellten Geräte, kommen nicht vor. RUST unterscheidet verschiedene „Stufen“ wie etwa die „Altonaer“ bzw. „Wedeler-Stufe“ (siehe auch Seite 24).





III. Die Befunde
Bedingt durch die nach der Zeit der Heidelberger Kultur erfolgten Übergletscherungen Nord- und Mitteldeutschlands sind in diesen Gebieten die Bedingungen für eine ungestörte Erhaltung von Befunden und Funden nur unter günstigen Bedingungen möglich, etwa in Höhlen und Spalten die von Gletschern überflossen wurden oder in großen Schichtpaketen, die als gefrorener Block im ganzen transportiert und wieder abgelagert wurden. Deshalb stammen die norddeutschen Funde und auch viele der anderen Funde, die der Heidelberger Kultur von RUST zugeordnet wurden, aus Schottern. Dieses gilt es bei allen Untersuchungen im AHinterkopf@ zu behalten, so sind alle Funde, sofern nicht nachgewiesen werden kann, daß sie Aim Block@ transportiert wurden, als Einzelfunde zu betrachten, die aus dem Einzugsgebiet der Vergletscherung weit transportiert sein können und je nach dem Vordringen der Vereisungsschübe mehrfach wieder aufgenommen worden sein, d.h. aus unterschiedlichen Zeiten stammen. Außerdem ist zu bedenken, daß beim Transport in fließendem Wasser beim oder nach dem Abschmelzen des umhüllenden Eises eine Verlagerung und Sortierung nach Gewicht und Strömungswiderstand stattfindet, bei der die Artefakte zusätzlich noch verrundet werden. Eine Zuordnung nach Herkunftsort und Alter ist demnach nur relativ und grob möglich. Diese kann nur so genau sein, wie die einzelnen Vergletscherungen in Raum und Zeit bestimmt werden können. Eine typologische Einordnung nach dem Motto Aje gröber und schlechter gearbeitet, desto älter@ führt mit hoher Wahrscheinlichkeit zu falschen Ergebnissen, da viele andere Parameter Einfluß auf das Artefakt haben, wie etwa Güte des Ausgangsmaterials, Geschicklichkeit und Erfahrung des Herstellers oder die Sorgfaltsanforderungen desselben an das jeweilige Gerät so etwa grobe Anfertigung für sofortigen aber kurzfristigen Gebrauch oder sorgfältige Ausarbeitung für Dauergebrauch. [nach H. ZIEGERT]

Ein weiteres Problem in diesem Zusammenhang ist, daß viele der artefaktverdächtigen Stücke von Laien gesammelt wurden, wobei die Auswahlkriterien bzw. der "artefaktische" Charakter häufig nach Ähnlichkeit von als Artefakt publizierten Stücken beurteilt wurde, so daß natürlich ein hoher Prozentsatz dieser als "Heidelberger" Geräte angesprochene Funde Pseudoartefakte sind.

Gesichertere Aussagen zu allen Aspekten des Kulturverhaltens des Heidelberger Menschen sind in den dauernd eisfreien Gebieten Süd- und Westeuropas und Nordafrikas möglich, da sich dort unverlagerte Fundkomplexe sowie geschlossene Funde befinden. Bei günstigen Erhaltungsbedingungen sollten sich auch Floren- und Faunenreste finden lassen, die eindeutig gleichzeitig zu den AHeidelberger Geräten@ sind. Außerdem sollten sich je nach ursprünglichem Zweck des Fundplatzes viele dort hergestellten oder benutzten und dann zurückgelassenen Geräte nachweisen sofern sie aus erhaltungsfähigem Material bestehen, da sie nicht durch fluviatile Umlagerung nach Größe sortiert sind. Wenn die Artefakte nicht durch chemische Verwitterung angegriffen sind, sollte in den meisten Fällen zweifelsfrei der Artefaktcharakter nachgewiesen werden können, so daß ASpiele der Natur@ auszuschließen sind.

Auf die Schwierigkeiten, aus den Artefakten der Vereisungsgebiete Rückschlüsse zu ziehen, weist RUST ausdrücklich hin[1][1] Er will deshalb durch Vergleich mit südlicheren Funden die nördlichen Funde typologisch einordnen.



III. 1. Wittenbergen / Wedel

"... Der Fundplatz liegt im Altmoränengebiet 30 km außerhalb der Würm-Randlagen. Die Warthe-Grundmoräne ist bei Wittenbergen vom würmzeitlichen Schmelzwasser-Sammelstrom der Elbe durchschnitten worden. Vom Steilufer stürzen alljährlich Teile des fetten Mergels ab, der u.a. mit Artefakten durchsetzt ist, die nicht in einer stratigraphisch enghorizontierten Schicht angereichert sind, sondern unregelmäßig verteilt überall im 13,5 m hohen Mergelpaket vorkommen. Die Abstürze werden durch Regen, vor allem aber durch das Elbwasser aufgelöst, das im langsamen Rhythmus des Tidenanhubs und -falls die gelösten Feinsedimente abführt. Die zurückbleibenden Geschiebe, darunter die Artefakte, wurden keiner stärkeren mechanischen Einwirkung ausgesetzt, sie blieben in geradezu vorbildlicher Weise herauspräpariert am Fuß des Kliffes liegen. ... Nach der Entdeckung des Fundplatzes Wittenbergen durch Gustav Steffens im Jahre 1938 wurde zwischen dem Entdecker und dem Verfasser vereinbart, das Vorkommen vorerst nicht bekannt zu geben, um eine Zerstreuung dieser wertvollen Kulturreste zu vermeiden. G. Steffens (und in geringen Anteilen dem Verfasser) war es dadurch möglich, 15 Jahre lang den Fundplatz ungestört abzusammeln. Erfaßt wurde der Großteil jener Artefakte, die in den letzten Jahrzehnten aus dem anstehendem, alljährlich etwas zurückgesetzten Mergel freiwurden. ...

Diese Sammlung enthält ungefähr 3000 Exemplare, darunter einige, die nach Neuabbrüchen aus dem Anstehenden entnommen wurden. Nach der Bekanntgabe wurden weitere Aufsammlungen durchgeführt, die wir auf rund 3000 Objekte schätzen können. Die Altonaer Gruppe gehört nach ihren technischen Grundlagen der Urkultur des Heidelbergers an. Ob ein Glied aus dem Hauptstamm vorliegt oder ob es sich um eine abgezweigte Variante mit Sondercharakteristik handelt, ist noch nicht zu entscheiden. Bereits vorher wurde beschrieben, daß es sich bei dem Vorkommen von Wittenbergen, das Mergel enthält und auch feinste Konchylien und Holzreste ... vermutlich um den Transport der Artefakte in einem großen gefrorenen Grundmoränen-Mergelblock handelt.@ [RUST, 1971, S. 10, 11]

AAnschließend an den Fundplatz Wittenbergen wurde ein weiteres etwas variierendes Artefaktvorkommen festgestellt, und weitere reichen auf 10 km Länge im rechten Elbufer bis nach Hamburg. Die volle Erschließung dieser Fundzonen ist durch Steilhang- und Uferbefestigungen aller Art heute unmöglich. (A. Rust u. G. Steffens 1962)@ [RUST, 1971, S. 14]



III. 2. Vinzier (Bad Oldesloe)

Die Fundstelle liegt in einer Sandgrube, in der würmzeitliche Kiese und Sande abgebaut werden. Die Artefakte lagen in einer 0,5 m mächtigen Schicht an der Oberkante der Sande und waren in einem nach den Rändern ausdünnenden Bereich von cirka 100 x 100 m angereichert. Gefunden wurden etwa 500 Exemplare (1971), die typologisch eine Einheit bilden. [nach RUST, 1971, S. 12]

ADie Funde von Vinzier sind das örtlich und typologisch geschlossendste Vorkommen der Heidelberger Kultur, das wir bisher aus ganz Nord-West-Europa kennen. ... Unter Geschlossenheit verstehen wir eine starke Anreicherung auf engstem Raum, die technisch gleichförmige Zurichtung der Artefakte, die übereinstimmende Patina und den gleichartigen Erhaltungszustand. ... Ein nicht sehr hoher Anteil der Werkzeuge von Vinzier ist aus Abschlägen hergestellt, die aber nicht von regelrechten Kernsteinen abgetrennt wurden, sondern zumeist noch die Rinde des Geschiebes tragen...@ [S. 21, 22]



III. 3. Morsum (Sylt)

Im Abfall des Morsum Kliffs, cirka 3 m unter der heutigen Oberfläche, fand RUST eine 0,3 bis 0,5 m starke Kiesschicht in der er etwa drei Dutzend Flintgeräte, zahlreiche Quarz- und Quarzitgerölle mit Windschliffen (ein- und zweiseitige Windkanter), "unter diesen waren auch einige wenige vorhanden, die anmuteten, als könnten sie von Menschenhand zugeschlagen worden sein" barg. [RUST, 1956, S. 24, 25]



III. 4. Grafenrain bei Mauer (Heidelberg)

"...

Neuere Untersuchungen weisen die Fundschicht in die Sauerstoffisotopen - Stufe 17 oder 15 im frühen Mittelpleistozän, was auf höchstens 750.000 und mindestens 600.000 Jahre geschätzt wird.

Ludwig Zöller, vom Heidelberger Institut für Archäometrie, gibt in dem Film "Auf den Spuren von Adam und Eva", Teil 2, (Bayerischer Rundfunk 1993), für die Maurer Sande der Fundschicht ein Alter von 600.000 bis 720.000 Jahren nach TL-Datierung an. Da die TL-Datierung, nach den Ergebnissen der Überprüfung anhand der Keramik von Ritsch, als nicht zuverlässig gelten muß und sich ein stratigraphischer Zusammenhang der Fundschicht von 1907 und den heute noch anstehenden Profilen der Sandgrube nicht sicher nachweisen läßt, muß die Datierung als unsicher gelten.



Die neuesten Forschungsergebnisse wurden 1992 in der Begleitpublikation der Mannheimer Sonderausstellung "Schichten - 85 Jahre Homo erectus heidelbergensis von Mauer" publiziert. Ein zusammenfassender Bericht findet sich in der Zeitschrift "Antike Welt" 1/1993, S. 71-73. Darin ziehen die Autoren einige gewagte Schlußfolgerungen:

"Wegen der Vielfalt der Gerätetypen und der weitgehend gut erhaltenen Hornsteine, aber auch des Unterkiefers selbst und seiner Begleit-Fauna wird ein Rastplatz von Homo erectus heidelbergensis in der näheren Umgebung des Fundmaterials vermutet. Da die Technik der Steingeräteherstellung gut in das bekannte Bild von Lagerplatzinventaren aus der Zeit des Homo erectus paßt und dort neben Kleingeräten aus harten Silexvarianten auch größere Hackgeräte aus Geröllen oder Felsgestein kennzeichnend sind, muß wohl für Mauer nun auch ein Teil der von Alfred Rust in den 50er Jahren in der Sandgrube 'Grafenrain' geborgenen grob behauenen Sandsteingerölle als Artefakte anerkannt werden. 8

Die Vielfalt der Werkzeugtypen aus der Zeit des Homo erectus weist offensichtlich bereits auf differenzierte Wirtschaftsbereiche mit darauf abgestimmten Geräteinventaren hin, man kann aus ihnen eine traditionelle Aufteilung unterschiedlicher Funktionen und Aufgaben ablesen. Die wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Organisationsmuster des Homo erectus dürfen also nicht unterschätzt werden. Da Kultur zudem als ein System aller gesellschaftlichen Phänomene verstanden werden kann und einzelne Elemente eines Systems jeweils eine auf das Ganze bezogene Klassifizierung erkennen lassen, muß man vermuten, daß die auffällige Differenzierung der Inventare und Geräteklassen auch ein Spiegel gesellschaftlicher Ordnung und Traditionen ist. Daraus ist zu folgern, daß die Differenzierung der Aufgaben und der dazu notwendigen Objekte nur über eine damit verbundene Begrifflichkeit zu regeln ist. Die Idee eines Gerätes ist nur in einem gesellschaftlichen System vorhanden, in dessen kommunikativer Struktur sie entstehen kann. Der 'Mensch von Mauer' hat demnach gesprochen; seine Sprache wird wohl noch sehr urtümlich artikuliert gewesen sein. Immerhin zeigt der Homo erectus gegenüber seinen Vorfahren während der 1,6 Millionen Jahre seines Bestehens in Afrika, Asien und Europa - vor ca. 1,8 bis 0,2 Millionen Jahren - ein eindrucksvolles Anwachsen der Schädelkapazität von 700 auf 1300 ccm9, was in diesem Zusammenhang nicht ohne Bedeutung war, wie neuere anatomische Forschungen belegen, die zudem den archäologisch gezogenen Schluß der Sprachfähigkeit des Homo erectus heidelbergensis stützen.10" (Literaturangaben im Zitat:

8 RUST, 1956 und BEINHAUER u.a. (Hrsg.) 1992

9, 10 BEINHAUER u.a. (Hrsg.) 1992} [BEINHAUER u.a. 1993: S. 72]

Wie die Verfasser zu der Schlußfolgerung gelangen: "... Die Idee eines Gerätes ist nur in einem gesellschaftlichen System vorhanden, in dessen kommunikativer Struktur sie entstehen kann." …

und daraus dann ein Sprechvermögen ableiten, ist für mich nicht nachvollziehbar. Die Tradition einen bestimmten Gerätetyp herzustellen, ist nicht an Sprache gebun­den. Es ist viel leichter, die Herstellung eines Gerätes zu beobachten und dann zu versuchen, die beobachteten Fertigungsschritte nachzuvollziehen, als sich die Geräteherstellung in Worten erklären zu lassen und diese theoretische Erklärung dann in die Tat umzusetzen. Auch heute noch werden viele Fertigkeiten durch Imitation als Beobachtung und Nachvollzug erlernt. Gerade im manuellen Bereich ist dieses Vor­gehen weit verbreitet. Es setzt keinerlei Sprachvermögen voraus, wenn es auch gele­gentlich hilfreich sein mag, Fragen stellen und Antworten bekommen zu können. Die Idee eines Gerätes muß zuerst nur beim Verfertiger dieses Gerätes vorhanden sein, um seine Form aus dem Rohmaterial herausarbeiten zu können. Es wäre auch möglich, daß eine geeignete Form durch Zufall bei der Steinbearbeitung entsteht und der Verfertiger erkennt, daß dieser "Ausschuß" für eine bestimmte Tätigkeit beson­ders geeignet ist, er diesen neuen "Gerätetyp" jetzt gezielt immer herstellt, wenn er diese Tätigkeit ausüben will. Ist dieser neue Typ in der Anwendung und/oder Her­stellung effektiver als der bisher benutzte Typ, so hat er gute Chancen, auch von anderen übernommen und so in eine Gruppe und mit der Zeit in einer Population tradiert zu werden.

Im selben Aufsatz betreiben die Autoren auch noch etwas "Statistik", so geben sie die durchschnittliche Größe der Artefakte mit 35,3 x 26,1 x 12,8 mm, das größte Stück mit 73 x 60 x 26 mm an. Nun bleibt es dem Leser überlassen zu spekulieren, wie wohl die Abmessungen der übrigen dreißig Artefakte (31 insgesamt) sein können, um als Gesamtheit die Durchschnittsgröße zu erfüllen, oder aber er liest BEINHAUER u.a., 1992, "Hornstein-Artefakte von der Fundstelle des Homo erectus heidelbergensis aus Mauer", wo die Stücke mit Maßangaben beschrieben sind. Weiterhin geben die Autoren an: 14 % der Funde bestehen aus dunklem, leicht gefaserten Hornstein, 86 % aus braunem Jurahornstein. Die Artefakte sind zu 28 % abgerollt und kantengerundet, 66 % sind gut, 7 % sehr gut erhalten.

Umgerechnet auf 31 Artefakte ergeben sich 4,34 / 26,66 / 8,68 / 20,46 / 2,17 - hier würde sich also eine Angabe nach Stückzahl eher anbieten als eine Prozentangabe, die den Leser nicht zu eindeutigen Ergebnissen führt, bzw. 1/10% Angaben, die zu ganzzahligen Ergebnissen führten (man hat sich ja auch nicht gescheut die "Durchschnittsmaße" auf 1/10 Millimeter anzugeben.

Die Hornstein-Artefakte sind keine "Heidelberger Typen" nach RUST. In BEINHAUER u.a., 1992, sind auch einige Sandsteinstücke aufgeführt, dazu heißt es:

"d) Massives, möglicherweise behauenes Grobgerät, das als Chopper bezeichnet werden könnte. Es zeigt allerdings keine Abspaltflächen, die nicht auch durch natürliche Vorgänge im Kiestransport des Urneckars hätten entstehen können. Dieser Fund ist ein typischer Beleg für die Heidelberger Kultur Alfred Rusts (RUST, 1956: siehe auch Beitrag Fiedler, S. 74 ff), in der er sowohl deutliche Artefaktformen als auch alle Übergangserscheinungen bis hin zu einfachen Trümmerstücken untergebracht hatte." [S. 72]

Dazu ist anzumerken, daß RUST in seinen späteren Arbeiten ausführlich auf das Problem von Pseudoartefakten und Eolithen eingegangen ist 1, wohl nicht zuletzt wegen der Kritik, die er aus Fachkreisen erfuhr. So daß oben der falsche Eindruck entsteht RUST hätte sich keine Gedanken zur Quellenkritik gemacht, das Gegenteil ist richtig.



III. 5. Stukenbrock (Bielefeld)

Walter ADRIAN sammelte zahlreiche Artefakte von der Oberfläche ab, die dort als "geschlossenes Vorkommen" (?) vorhanden waren. Das Material ist nordischer Flint von schlechter Beschaffenheit. [RUST, 1971, S. 33]



III. 6. Krefeld

"Ein reiches Fundgebiet scheint auch um Krefeld zu sein. Ich fand dort 1956 mehrere windgeschliffene, aus kristallinen Gesteinen gefertigte Heidelberger Artefakte, z.B. bei Brüggen, wo man solche von Menschen hinterlassene Kulturreste vielleicht mit den dort abgebauten Reuvertonen als datierbaren Horizont in Zusammenhang bringen kann. " [RUST, 1971, S. 33]



III. 7. Ziegenhain (Hessen)

Neben zahlreichen Geräten des "Faustkeilkreises" kommen gelegentlich ältere stärker verwitterte Belege aus der Heidelberger Kultur vor. [RUST, 1971, S. 36]



III. 8. Meiningen (Thüringen)

Nachdem RUST 1956 die dortige Sandgrube besuchte und Heidelberger Artefakte fand [RUST, 1971, S. 36] nahm Rudolf FEUSTEL 1958 dort eine Ausgrabung vor [FEUSTEL, 1959]. Er mag aber nicht entscheiden, ob es sich um Artefakte oder Pseudoartefakte bei diesen Fundstücken handelt. Es handelt sich um Buntsandstein- und Hornsteinstücke.



III. 9. Donauterrassen bei Wien

Hier wurden in den 50'er Jahren Nasenschaber und andere "Heidelberger Geräte" gefunden. Zur Stratigraphie und Typologie siehe MOHR / MOTTL, 1956. Auch A. RUST und H. SCHWABEDISSEN fanden 1955 bei einer Begehung (nach einer Tagung) einen Nasenschaber. [RUST, 1956b, S. 180


III. 10. Greding (Süddeutschland)

Neben einigen Heidelberger Geräten aus Flint fand sich auch ein Querschaber aus Kalk. Stratigraphische Zusammenhänge für die Geräte werden nicht mitgeteilt. [RUST, 1971, S. 44]


III. 11. Höwenegg / Hegau

Hierbei handelt es sich um eine unter paläontologischen Fragestellungen vorgenommene Ausgrabung neben einem Vulkankegel, in deren Abraum die Artefakte gefunden wurden.


III. 12. Chantal

Diese Fundstücke aus Puy Boudien bzw. Puy-Courny (Chantal, Frankreich) befinden sich heute in der Sammlung Westlake im Department Of Geology University Museum Oxford sowie in Sammlungen in Deutschland und Frankreich. Sie wurden Anfang dieses Jahrhunderts (1905 ?) gefunden. RUST, 1965, S. 59, schreibt dazu:

"... Als ältestes Werkzeugvorkommen vom Heidelberger Typ möchte ich einen sehr kleinen Anteil der französischen Chantalfunde ansehen. Diese Auffassung hat nicht das geringste mit einer Rehabilitierung der sogenannten Eolithen zu tun. Ich möchte lediglich versuchen einen Weg aufzuzeigen, der uns über begründete und nachprüfbare technisch-typologische Kennzeichen vielleicht die Möglichkeit gibt, Hinweise auf die Geburtsstunde der Menschheit zu geben. Die Chantalfunde gehören dem Unterpliozän an. Sie führen uns vielleicht mehr als fünf Millionen Jahre in die Vergangenheit zurück. Wer möglicherweise Träger dieser Altkulturen gewesen sein könnte, ist noch völlig rätselhaft ..."

In RUST/STEFFENS, 1962, geht RUST auf den Seiten 67 ff. auf den Anteil, den er für Artefakte hält, näher ein. Auf den Seiten 62 ff. beschreibt er die Beziehungen dieser Funde zur "Altonaer Stufe" (die durch besonders große Geräte gekennzeichnet ist, so etwa mehrere Kilogramm schwere Schaber). Er erwähnt dort weiter den nahen Fundort Belbere (bei Aurillac).


III. 13. Nordafrika

Durch die Funde von H. ZIEGERT in Libyen [ZIEGERT, 1969, S. 56-58], die aufgrund der guten Erhaltungsbedingungen in der Wüste mit wahrscheinlich nur wenig verlagerten Artefakten in Schottern, werden die Beobachtungen RUST's zur Typologie und Herstellungsweise voll bestätigt. Es finden sich Nasenschaber und zitruslamellenförmige Schaber. Voraussetzung für die altersmäßige Einordnung ist eine sorgfältige Analyse der Stratigraphie von Terrassenbildungen und Hangfußablagerungen.


III. 14. Peru

ALFRED RUST beschreibt in seinem Buch WERKZEUGE DES FRÜHMENSCHEN IN EUROPA, Neumünster 1971, S. 58: "Ein in Heidelberger Technik gearbeitetes Artefakt aus Peru" wie folgt:

"Meine Tochter Elke Rust fand 1966 im Stadtbereich von Lima an einem Bahndamm das in Abb. 28 vorgebrachte Artefakt. Es war mir nicht möglich, durch briefliche Anfragen zu ermitteln, wo der zur Aufschüttung des Dammes benötigte Boden entnommen wurde, doch darf man wohl annehmen, daß das Material ortsnahe abgebaut wurde.

Das Werkzeug ist aus einem geröllförmigen Basaltstück gefertigt. Die Retuschenkanten sind leicht verrundet, wodurch das Stück ein recht altertümliches Aussehen erhielt, doch reichen solche Erhaltungserscheinungen nicht aus, dem Artefakt ein tatsächlich hohes Alter zuzumessen, denn z.B. durch Wassertransport kann ein solches Aussehen auch in jüngster Zeit hervorgerufen worden sein. Die leicht gerollte Oberseite (Fig. a) des Werkzeuges ist allem Anschein nach äolisch geschliffen, während die einst im Boden steckenden leicht geglätteten Seitenkanten und die Unterseite nicht mit solcher politurartigen Glättung versehen sind.

Die Fingerkerben links und rechts des nasenartig herausgearbeiteten Vorsprunges sind, wie in der Heilberger Technik üblich, zum Schutze gegen Verletzungen bei hoher Druckanwendung über 90 Grad hinaus verstumpft worden. Die linke Kante in Fig. 4 ist durchgehend von der Unterseite her retuschiert und am unteren Abschnitt mit einem Gegenschlag versehen, wie er gleichartig auch an den europäischen Arte­fakten dieser Art mehrfach vorhanden ist. An der flachen Unterseite ist rechtsseitig (Fig. c) ein großer Abschlag abgetrennt worden. Diese Fläche ist strukturell rauher als die übrigen Partien der Unterseite. Auch diese Art der Zurichtung ist an den europäischen Vertretern mehrfach zu beobachten (Taf. 17 u. A. RUST 1965, Abb. 4), rechts unten liegt der genannte Gegenschlag. Die rechte Kante (Fig. c) ist auf kurzem Abschnitt anscheinend nicht retuschiert.

Das Basaltartefakt entspricht in seiner Gesamtform und der speziellen technischen Zurichtung völlig den europäischen heidelbergischen Typen. Es ließe sich den plio-pleistozänen Industrien aus Europa-Nordafrika, die Artefakte aus kristallinen Gesteinen führen, als "normal-identisch" einfügen.

Zur Frage über das Alter, die kulturelle Zugehörigkeit und die Bindung an einen Träger solcher Industrien in Amerika lassen sich viele Hypothesen vorbringen, von denen vorerst keine praktisch realisierbar begründet oder erhärtet werden könnte."

Im Folgenden spekuliert RUST, wenn auch äußerst vorsichtig, über eine frühe Besiedlung Amerikas. Dieser Fund ist unter methodischen Gesichtspunkten betrachtet, ein umgelagerter Einzelfund unbekannter Herkunft und somit wenig aussagekräftig. Außerdem hält Professor Ziegert, der dieses Objekt untersucht hat, es nicht für artifiziell. Bei der Publikation dieses Objektes war wohl der Wunsch Vater des Gedankens, da RUST in den Zeitschriften für seine Postulierung der Heidelberger Kultur von verschiedenen Wissenschaftlern angegriffen worden war.


III. 15. Sonstige

1.) Grube Ingelfingen bei Frankenbach, dort fand RUST zwei artefaktverdächtige Gerölle. In der Grube Lauer eines und in der Grube Löffelhardt zwei "Heidelberger Artefakte" aus quarzitischem Sandstein [RUST, 1971, S. 39]

2.) An gleicher Stelle nennt RUST weitere Funde aus Schneidheim im Gebiet der Alb, sowie

3.) Funde aus der Tschechoslovakei mit weiteren Fundangaben aus Süddeutschland mit der Literaturangabe [ZEBERA, 1967].

4.) Neckarschottern bei Frankenbach, ein stark abgerollter einfacher Nasenschaber [RUST, 1956, S. 17]. Im selben Buch (S. 23) gibt RUST eine Ziegeleigrube in Hummelsbüttel (Hamburg) und eine Sandgrube bei Tornesch (Schleswig-Holstein) als Fundplätze für nicht einzuordnende Artefakte an.





IV. Das Typenspektrum

Um Typen definieren zu können, brauchen wir unterscheidbare Merkmale bzw. Merkmalsgruppen, welche entweder gewollt entstehen, d.h. von den Herstellern der Geräte beabsichtigt waren oder unbeabsichtigt entstehen, dann aber nach nachvollziehbaren Kriterien.

Da die frühen Menschen nicht für uns heutigen Archäologen ihre Geräte herstellten, sondern um ihre jeweiligen Bedürfnisse zu befriedigen, sind unterschiedliche Gerätetypen nicht geplant entstanden, sondern ergaben sich aus der angestrebten Funktion, den Materialeigenschaften und der eingesetzten Herstellungstechnik. Wenn sich ein Produkt aus der Kombination dieser Faktoren besonders geeignet zeigte, um die geplanten Bedürfnisse zu befriedigen, wurde es immer wieder hergestellt und so tradiert. Dieses konnte einfach durch Nachahmung geschehen. Je häufiger ein solches Gerät hergestellt wurde und je weniger variabel die Form für eine bestimmte Funktion ist, desto leichter ist es für uns auffindbar und als Typ definierbar. Je größer die Variationsbreite der Form für die Funktion ist bzw. spezielle Unterschiede für uns nicht nachvollziehbar sind, da wir die Geräte nie in ihrer ursprünglichen Funktion sehen und heute andere Bedürfnisse und Materialien haben, desto größer ist die Wahrscheinlichkeit, daß wir unterschiedliche Typen nicht erkennen bzw. Typen bilden, die zumindest im Hinblick auf die Funktion gleich sind. So müssen die von uns heute definierten Typen nicht mit den von den frühen Menschen definierten Typen übereinstimmen.

Außerdem gibt es eine Reihe von Faktoren, die zu bedenken sind.

Der Zweck für den das Artefakt hergestellt wurde, so ist es für kurzzeitigen Gebrauch nicht nötig einen bestimmten Gerätetyp sorgfältig herzustellen, z.B. für ein oder zwei Schnitte in Fleisch reicht eine scharfe Kante an einem Abschlagsplitter, wie man ihn anfassen kann ist eher nebensächlich. Will man mehr schneiden, so wird man ein Gerät herstellen, das sich günstiger handhaben läßt als dieser Splitter, um das Verletzungsrisiko zu minimieren und die Arbeitsökonomie zu maximieren.

Die Fertigkeiten des Herstellers und das Material das ihm zur Verfügung steht.

So werden Kinder oder ungeschickte Personen wahrscheinlich Auntypische@ Geräte bzw. Ausschuß fabrizieren, Kinder vielleicht auch kleinere Geräte. Gleiches gilt wenn nur schlechtes Steinmaterial zur Verfügung steht.

Persönliche Vorlieben oder Gegebenheiten die dazu führen, daß untypische Geräte hergestellt werden, z.B. Behinderungen nach Jagdunfällen o.ä.

Für unterschiedliche Materialien bzw. Vorgehensweisen angepaßte Werkzeuge, z.B. zur Fellbearbeitung, so könnte es ja sein, daß es günstig ist, nach Tierart, -alter und der eigenen Arbeitsweise, der Weiterverarbeitung bzw. dem beabsichtigten Endprodukt, unterschiedlich geformte Schaber zu benutzen. Weiterhin spielt das nutzbare Material eine wesentliche Rolle. Neben Artfakten aus Flint kommen auch solche aus kristallinen Materialien wie etwa Quarzid vor, auch Hartkalke eignen sich als Rohstoff für Geräte, wie sich durch Experimente zeigen läßt. Auch wenn die ASerienabschläge@ aus Hartkalk, die als artefiziell publiziert wurden, nach Untersuchungen von H. ZIEGERT natürlich entstanden sind. Wenn in Gebieten kein Flint vorkommt, mußte natürlich auf andere Rohstoffe zurückgegriffen werden. In Gebieten, in denen Flint häufig ist, sind viele Möglichkeiten denkbar, warum auch anderes Material zur Geräteherstellung benutzt wurde. [RUST, 1971, S. 14 ff] diskutiert verschiedene Möglichkeiten zur Erklärung. Er postuliert zwei Gruppen, die eine soll Flint, die andere kristalline Gesteine zur Geräteherstellung benutzen. Die Gruppen sollen entweder gleichzeitig oder die Flintgruppe jünger oder die AQuarzidleute@ nördlicher sein.

RUST teilt die Funde in verschiedene Typen ein. Im Folgenden sollen sie kurz aufgezählt werden. Nähere Angaben zur Typenabgrenzung sowie Abbildungen können den RUSTschen Publikationen entnommen werden (insbesondere 1956, S. 16 ff und 30 ff sowie 1971 mit zahlreichen Abbildungen).

Kernsteine sind nicht sicher nachgewiesen.

Abschläge sind relativ selten. Ob dieses mit den damaligen Tatsachen übereinstimmt oder uns nur aufgrund der Fundsituation in umgelagerten Schottern so erscheint ist unklar, da kleine Abschläge mit scharfen Schneiden und Kanten leicht herzustellen und universell zu verwenden sind, spricht alles dafür, daß sie häufig hergestellt und verwendet wurden. Durch die Sortierung und Umlagerung durch fließendes Wasser werden natürlich nur große Abschläge bzw. Geräte daraus mit anderen "Heidelberger Geräten" ähnlicher Größe und Strömungswiderstand zusammen abgelagert, während kleine Abschläge weiter transportiert werden und sich an anderen Stellen ablagern. Eine Zuordnung dieser Abschläge wird, wenn sie keine besonderen Merkmale tragen, die eine Zuordnung erlauben würden, nicht möglich sein.

Schaber hier unterscheidet RUST verschiedene Ausprägungen

Bogenschaber

Hohlschaber

Schaber mit dreikantigem Querschnitt

Würfelschaber

Doppelbuchtschaber

Gradschaber

Unregelmäßige Schaber

Spitzschaber

Hochkratzer

Kombinierte Schaber

Ob diese Zuordnungen wirklich ehemalige Typen bezeichnen oder nur "zufällige" Variationen aufgrund des verwendeten Materials, Geschick des Herstellers, Nachbearbeitungen usw. darstellen, ist fraglich.

Auch die jeweilige Zuordnung eines Einzelstückes zu einem der o. a. "Subtypen" ist subjektiv und daher von Person zu Person unterschiedlich. Dieses Problem wird noch verschärft, wenn beispielsweise Zeichnungen, Fotos und Originale von verschiedenen Fundstücken zur Zuordnung verwendet werden, da den Fotos ohne ausgefeilte Beleuchtung der "3D-Effekt" fehlt, während Zeichnungen eine Interpretation des Verfertigers darstellen und vieles "überzeichnet" werden kann, um die eigenen Ergebnisse deutlicher darzustellen. Dagegen ist im Prinzip nichts einzuwenden, man muß es nur wissen und berücksichtigen.

Spitzgeräte



Nasenschaber

Einfache Nasenschaber

Nasenschaber mit gegenständiger Retusche

Die Nasenschaber gehören zu den typischten Geräten der "Heidelberger Kultur". Aus einem plattigen Rohling werden alternierend bereite Kerben herausgearbeitet, so daß zwischen Ihnen eine "Nase" entsteht, die dann durch einen Schlag angeschärft wird.



Stichel



Hobel (Querhobel oder Querschaber)

Dieses ist der zweite Haupttyp der "Heidelberger Geräte".

"Die Grundform führt am Oberende oder seitlich eine gerundete, quer zur flachen Grundform des Gerätes stehende Schneide, die ungefähr so breit wie die Kante ist, an der sie angelegt wurde. Den einfachsten Querschaber kann man durch zwei gegenständlich geführte Schläge herstellen, wobei sich die Abschlagkanten treffen und dort eine scharfe Schneide bilden." [RUST, 1965, S. 39-40]



Sondertypen

Ob es wirklich besondere Geräte, die zu bestimmten Zwecken oder von einzelnen Personen (?) hergestellt wurden, oder besonders unglücklich gelungenen Exemplare der "Normalgeräte", sind? Wer mag das beurteilen?



V. Die Herstellungstechnik
Die Artefakte sind Ahart@ geschlagen, nach RUST, 1971, S. 16ff ist eine Unterscheidung in technisch Aalt@ oder Aprimitiv@ anmutende AGrobartefakte@ die groß, oft plump und hoch[1] seien.

ASolche plumpen Artefakte mit hohem Rücken werden in Spreiz- oder Primitivgriff gefaßt, vergleichbar dem Erfassen eines Balles. Die Zurichtung jüngerer Artefakte läßt erkennen, daß die technische Tendenz zu flacheren Formen überleitet, die im Querschnitt zitrusförmig waren, womit eine bessere Wirkung bei der Bearbeitung von Holz oder Knochen erreicht wurde. Mit einer rechtwinkligen Arbeitskante, bei einer Winkelstellung von etwa 90 Grad also, kann man nur eine kratzende Wirkung erzielen, während bei einer Winkelstellung von vielleicht 45 Grad oder weniger die Retuschenkante mehr schneidend-hobelnd angreift und somit wirksamer ist. Parallel zu dieser Tendenz läuft die Verlagerung der Nasenpartie am Oberende des Artefaktes (Abb. 17 ) an eine Seitenkante (Abb. 2, 15, 18), dieser Typ dominiert in den jüngeren Heidelberger Kulturen. Dadurch wurde eine größere Sicherheit in der präzisen Führung des Werkzeuges erzielt. Bei einer Übersicht gewinnt man den Eindruck, daß in den älteren Phasen häufiger grobkristalline Gesteine wie Granite, Basalte, Porphyr verwendet wurden, während man in den jüngeren Kulturen feinkörnigeres Material, überwiegend Quarzit, bevorzugte.@ [S. 18]

RUST unterscheidet streng zwischen der altersmäßigen Einschätzung anhand der Technik und dem tatsächlichen Alter der jeweiligen Artefakte.

Das Ausgangsmaterial ist zumeist kristallines Gestein, seltener Flint, häufig sind es plattige Gerölle. Da die Gerätegriffe der Hand angepaßt sind, sind die Fingerkerben gegenständig geschlagen und übersteilt um Verletzungen zu vermeiden, bei Flint und anderem glatten Material sind die Fingerkerben ausgeprägter, als bei rauhem Material wie etwa Quarzit [RUST, 1965, S. 39]. Die Schneiden der Nasenschaber sind so geschlagen, daß man die Geräte etwa im 45° - Winkel zur zu bearbeitenden Oberfläche ansetzen muß, was die Fingernägel weit genug von der Oberfläche abhält, so daß man sich keine Splitter darunter reißt, wenn man auf rauhen Oberflächen zu sich hin arbeitet (zur Rechts- und Linkshändigkeit der Geräte siehe Seite 22,23)..

In RUST 1965, S. 42, führt er aus, daß die Artefakte häufig ein- oder zweimal nachgeschärft wurden, wobei sich an Hand unterschiedlicher Patinierung und Einfluß von Windschliff zeigen lasse, daß zwischen den Verwendungen eine lange Zeit vergangen sein müsse (Jahrtausende), und daß man nach der Art und dem Ort der Nachschärfung (an den ehemals schon bearbeiteten Teilen) von natürlichen mechanischen Einflüssen absehen müsse.1



VI. Die Funktion Griffteil / Wirkteil.
Modellbildungen und aktualistische/ethnologische Vergleiche

Da wir heute keine Steingeräte mehr verwenden und sich auch unsere übrige Lebensweise so sehr von der früherer Menschen unterscheidet, daß wir ihr sonstiges Kulturverhalten nicht aus unserem ableiten können, müssen wir versuchen Mittel und Wege zu finden, die es uns erlauben Aussagen auf damalige Zustände zu machen.

Da wir keine AZeitmaschine@ haben, die es uns erlauben würde, dem damaligen Menschen über die Schulter zu gucken, wozu er seine Steingeräte nun tatsächlich verwendete, können wir nur versuchen uns im Geiste in die damalige Situation der frühen Menschen zu versetzen um uns Modelle zu bilden, die Aussagen über das Werkzeug erlauben.

Voraussetzungen dazu sind:

Eine Umweltrekonstruktion, um daraus Rückschlüsse auf die Verhältnisse zu ziehen, in der die jeweiligen Menschen lebten (mögliche Jagdbeute, sammelbare Nahrung, verfügbares Material, usw.)

Ein Kulturmodell aus dem sich zusammen mit der Umweltrekonstruktion Bedürfnisse und Möglichkeiten zu deren Befriedigung bei einer angenommenen Technologie ableiten lassen.

Eigene Kenntnis dieser angenommenen Technologie durch Beobachtungen und Experiment (bzw. Beschreibung davon).

Mit Hilfe der drei obigen Aspekte lassen sich nun Hypothesen bilden zu einzelnen Fragestellungen, z.B. womit und wie zerlegte der frühe Mensch seine Jagdbeute? Oder ausgehend von einem Artefakt, wozu kann dieses Gerät gedient haben?

Um die Hypothesen zu überprüfen, gibt es verschiedene Möglichkeiten: u.a. Spurenanalyse, dieses wäre, da von überprüfbaren physischen Faktoren ausgegangen würde, eine gute Überprüfungsmethode, wenn es nicht einige gewichtige Einwände gäbe. Zum einen sind die hier behandelten Artefakte sehr alt, was die Erhaltungsfähigkeit von Spuren sehr beeinträchtigt, z.B. durch physikalische und chemische Verwitterung, im Bereich der Eiszeiten durch Umlagerung und damit verbundener Abrollung, was die Gebrauchsspuren tilgt. Aber selbst wenn sich Gebrauchsspuren zeigen, ist nicht sicher, daß unsere Interpretation dieses oder jenes Vorgehen habe die Spur am Gerät gesetzt, die einzige Möglichkeit solche Spuren zu erzeugen ist, daß ein solches Gerät immer bzw. häufig zu dieser Tätigkeit benutzt wurde (auch heute benutzen z.B. einige Zeitgenossen Schraubendreher um damit Löcher in Wände zu stemmen). Außerdem bleibt das Problem unerklärbarer Spuren bzw. sich überlagernder Spuren von unterschiedlichem Gebrauch. Veränderungen an der Spur im Laufe der Zeit unter verschiedensten eventuell nicht nachvollziehbaren Umweltbedingungen könnten zu falschen Ergebnissen führen, gleiches gilt für den experimentellen Nachvollzug von angenommenen Tätigkeiten früherer Menschen um Vergleichsspuren für die Interpretation zu erlangen. Durch unterschiedliche Materialeigenschaften des verwendeten Werkzeuges bzw. bearbeiteten Werkstückes (z.B. fettiger, frischer Knochen / gekochter Knochen), unterschiedlicher Handhabung (Druck, Bearbeitungsrichtung, Anstellwinkel usw.) könnten Fehler auftreten, die unsere Interpretation falsch werden lassen. Selbst wenn die Spuren sich sehr stark ähneln, kann es noch andere Möglichkeiten geben sie zu erzeugen als die experimentell überprüften. Sicher ist diese Methode nur, wenn Werkzeug und bearbeitetes Werkstück im Zusammenhang, möglichst als geschlossener Fund, gefunden werden, da man dann davon ausgehen kann, daß die Spuren am Werkzeug und Werkstück, wenn sie überein stimmen, auch durch das Werkzeug verursacht wurden.

Experimente sind eine weitere Möglichkeit Hypothesen zu überprüfen. Wie schon oben ausgeführt, gibt es viele Variablen, die Einfluß auf das Ergebnis eines Experimentes nehmen können. Auch gab es in der paläolithischen Lebensweise sicherlich Probleme und technische Lösungen dafür, die wir aufgrund fehlender Vergleiche nicht gedanklich erschließen, so daß wir Experimente dazu gar nicht ausführen (können). In diesem Zusammenhang gilt es auch zu bedenken, daß wir über die Geräte dieser Zeit, die nicht aus Stein bestanden, so gut wie nichts wissen aufgrund ihrer schlechten Erhaltungsfähigkeit. So lassen sich natürlich Geräte für unterschiedlichste Zwecke auch aus anderen Materialien herstellen, so daß hierfür keine Steingeräte nötig waren.

Auch wenn unsere Experimente zeigen, daß ein Gerät für einen bestimmten Zweck gut geeignet ist, haben wir nur eine Möglichkeit des Gebrauchs nachgewiesen, nicht den Gebrauch selber.

Eine weitere Möglichkeit wäre der ethnographische Vergleich an Hand von Kulturen die rezent oder subrezent Steingeräte herstellten und verwendeten. Da aber die heutigen Wild- und Pflanzenbeuter zum einen in einer anderen (meist ungünstigen) Umwelt leben und eine physische und psychische Evolution auch bei ihnen stattgefunden hat, so daß wir davon ausgehen müssen, das ihr Verhalten 300.000 Jahre oder noch mehr Amoderner@ ist als das eines Homo erectus; mit für uns unbekannten Auswirkungen. Deshalb können wir ihr Verhalten und ihre Werkzeuge nicht einfach als Modell übertragen, sondern nur einzelne Aspekte nach sorgfältiger Überprüfung.

Da die altpaläolithischen Geräte meist einen großen Griffteil und nur einen relativ kleinen Wirkteil haben, sind viele von ihnen entweder nur für rechts- oder linkshändigen Gebrauch geeignet. Je nach Schlagrichtung bei der Herstellung der Fingerkerben und Schneide, z.B. bei Querhobeln, wird die Benutzungshand festgelegt. Wenn wir voraussetzen, daß die aufgefundene Zahl der links- und rechtshändigen Geräte repräsentativ für die hergestellten Geräte ist, können wir auf die Verteilung von Links- und Rechtshändern bei den Benutzern dieser Geräte zurückschließen. Eine weitere Möglichkeit zur Erklärung wäre, daß die damaligen AHandwerker@ bei Ermüdung ihrer Astarken@ Hand mit der anderen weiterarbeiteten, wofür sie natürlich ein dafür angepaßtes Gerät brauchten. Dieses würde aber voraussetzen, daß ihre beiden Hände etwa gleich kräftig und geschickt waren, was den heutigen Erfahrungen nicht entspricht, obwohl viele Aerzwungene@ Rechtshänder geschickte linke Hände haben.

Interessanterweise nimmt der Anteil linkshändiger Geräte im Laufe der Zeit ab,

wie folgende Tabelle zeigt:


Fundort linkshändige Werkzeuge rechtshändige Werkzeuge
Jabrud (39 Artefakte) Jabrudien Kultur
Flint, Alter etwa 70.000 Jahre
30 % 70 %
Vinzier (133 Artefakte) Heidelberger Kultur
Flint, Alter etwa 250.000 Jahre ?
33 %
67 %
Wittenbergen (130 + 141 Artefakte) Heidelberger Kultur, Altonaer Gruppe   Flint, Alter etwa 250.000 Jahre 30 % 70 %
Mauer (55 Artefakte) Heidelberger Kultur
Quarzid, Alter etwa 500.000 Jahre
37 %
63 %
Sülzfeld (40 Artefakte) Heidelberger Kultur
Quarzit, Alter etwa 1 bis 2 Mio. Jahre [???]
44 % 56 %
Wittenbergen (83 Artefakte) Heidelberger Kultur
Quarzid, älter als 250.000 Jahre ?
47 % 53 %

[nach RUST, 1971, S. 63 - 66]



VII. Die Heidelberger Kultur in der damaligen wissenschaftlichen Debatte
In Heft 7 von Eiszeitalter und Gegenwart befindet sich nach den Artikeln von A. RUST und MOHR / MOTTL auf Seite 219 eine Buchbesprechung Alfred RUST's "Artefakte aus der Zeit des Homo Heidelbergensis in Süd- und Norddeutschland' von Paul WOLDSTEDT (dem Herausgeber von Eiszeitalter und Gegenwart):

"Der Verf. beschreibt aus den tieferen Schichten der Grube Grafenrain bei Mauer, in denen im Jahre 1907 der berühmte Unterkiefer des Homo heidelbergensis gefunden wurde, artefaktartige Bildungen. Es handelt sich nach Ansicht des Verfassers um eine ganze Industrie - Schaber der verschiedensten Formen, Spitzgeräte, Nasenschaber, Stichel, Hobel usw., im ganzen etwa 120 Stück.

Ähnliche Industrien glaubt der Verf. in Norddeutschland entdeckt zu haben, und zwar einmal in einer Geröllzone, unbekannten (aber wahrscheinlich altpleistozänen) Alters vom Morsum Kliff auf Sylt Der Verf. geht weiter davon aus, sich in nordischen Grundmoränen in größerem Umfange paläolithische Artefakte finden lassen. So ist von G. STEFFENS am Schulauer Elbufer, wahrscheinlich aus einer Grundmoräne des W'arthe-Stadiums ('Riß II'} eine 'clactonartige Industrie' (mit 1000 Stück !) gesammelt worden ('Altonaer Stufe). . Eine andere Fundgruppe ('Wedeler Stufe') führt kleinere Geräte. Nach Ansicht von RUST soll aber ein Teil der Funde auch zur Heidelberger Industrie gehören. Das würde eine mehrfache Umlagerung voraussetzen. -

Es soll an dieser Stelle nicht zu der Form der Werkzeuge als solcher Stellung genommen werden. Das mag von berufenerer Seite geschehen. Hier aber seien einige Bedenken des Geologen geäußert, die sich vor allem auf die norddeutschen Funde beziehen. Wie soll es möglich sein, daß in einer Grundmoräne ein geschlossener Artefaktenbestand nicht nur nach einmaliger, sondern sogar nach mehrmaliger Umlagerung erhalten bleiben kann? Das widerspricht zum mindestens allen bisherigen Erfahrungen der norddeutschen Glazialforscher. Die Geschiebeuntersuchungen von M. SAURAMO in Finnland und von G. LUTNDQVIST in Schweden haben gezeigt, daß wohl in unmittelbarer Nachbarschaft vom Anstehenden sich ein bestinmtes Gestein in der Grundmoräne nachweisen läßt, daß aber dann die Spuren sehr schnell gering werden. Es müßten Lagerplätze mit der Anhäufung ungeheurer Artefaktmengen vorhanden gewesen sein, wenn diese in einer sich überschiebenden Grundmoräne in solcher Konzentration erkennbar sein sollten. Aber so etwas mag schließlich noch im Bereich des Möglichen liegen - völlig unwahrscheinlich wird es für eine zweite Aufarbeitung.

Zum mindestens müßte in Norddeutschland erst einmal eine eindeutige Artefakt - Lagerstätte in situ nachgewiesen werden, ehe man ein- oder gar mehrmals umgelagerte anerkennen kann. So sollten die präglazialen Schichten Nordwestdeutschlands eingehend in dieser Beziehung untersucht werden. Wenn dort ein sicherer Fundplatz in situ mit allem, was dazu gehört - Knochen, evtl. Brandresten usw. - nachgewiesen ist, dann kann man auch der Frage möglicher Umlagerungen nachgehen.

Natürlich muß die ganze Frage der 'Heidelberger Artefakte' gründlich diskutiert werden, und so habe ich mich auch trotz schwerer Bedenken entschlossen, die in diesem Bande erscheinenden Aufsätze von A. RUST und H. MOHR & M. MOTTL drucken zu lassen. Daß sie - mindestens in einzelnen Teilen - lebhaften Widerspruch hervorrufen werden, darüber herrscht wohl kein Zweifel. Aber vielleicht führt die sich ergebende Diskussion doch zu einer Klärung mancher Fragen."

Eine Lösung des "Umlagerungsproblems" könnte die Aufnahme und Verlagerung in schon gefrorenem Zustand - als Block - sein. So finden sich gelegentlich in Gletscherlagerungen auch Pflanzenreste, wie etwa Blätter, Schneckengehäuse oder lange Torfbänder, die einen Transport im Gletscher viel weniger widerstehen würden als Steinartefakte. Deshalb wäre es möglich, daß z.B. fluviatil vorsortierte Artefakte ähnlich wie die organischen Reste vielleicht sogar mehrmals transportiert werden können, ohne sich "in alle Winde" zu zerstreuen.

Recht hat er natürlich mit seiner Forderung nach Fundplätzen in situ zu suchen.

Im selben Band von Eiszeitalter und Gegenwart ist auch ein "Bericht über die Tagung der Deutschen Quartärvereinigung in Laufen an der Salzach (Oberbayern) am 4. September 1955, die Exkursionen in Österreich und die Spätpleistozän-Diskussion in Wien am 9.9.1955" von Hugo GROSS.

Darin wird auch der oben von RUST erwähnte Nasenschaberfund behandelt.

"... A. RUST machte die Wiener Kollegen darauf aufmerksam, daß in den Schottern im Liegenden dieses Bodens Artefakte des Heidelberger Menschens zu erwarten seien. Eine halbe Stunde später fand H. SCHWABEDISSEN ein solches Stück, das von A. RUST als richtig anerkannt, von anderen als Pseudoartefakt aufgefaßt wurde. A. RUST betonte aber, daß unter den von H. MOHR und H. KÜPPER in den altpleistozänen Schottern des Laaer Berges gesammelten artefaktverdächtigen Quarzgeröllen echte Artefakte vorlägen, die völlig in den Rahmen der Typenskala der Geräte der Heidelberger Stufe passen, wie sie aus Mauer und aus Norddeutschland bisher mit über 500 Stück vorliegen. Er hält es nicht für aussichtslos, auch in spätpliozänen Ablagerungen in Europa nach Vorformen der Heidelberger Stufe zu suchen. ..."[S. 226]



VIII. Die Heidelberger Kultur aus heutiger Sicht
Die "Heidelberger Kultur" hat sich in der Wissenschaft nicht allgemein durchsetzen können. So schreibt z.B. PROBST, 1991, S. 49: "Am Fundort des berühmten Heidelberg-Menschen von Mauer konnten bisher keine Steinwerkzeuge aus dem Protoacheuléen entdeckt werden. Die von dem Ahrensburger Prähistoriker Alfred Rust (1900-1983) in Mauer entdeckten Hackgeräte (Choppers) sind - wie sich später herausstellte - auf natürliche Weise entstanden und nicht von Heidelberg-Menschen zugeschlagen worden. Daher hat der 1956 von Rust geprägte Begriff Heidelberger Kultur keine Gültigkeit."

Dazu ist anzumerken, daß selbst, wenn die Artefakte keine wären, sich dieses nicht auf alle anderen Artefakte auswirkte, man könnte also höchstens eine falsche Namenswahl beklagen, aber nicht den Begriff als solchen negieren würde.

Auf der 29. Tagung der Hugo Obermaier - Gesellschaft 1987 in Alsfeld hielt K. D. ADAM einen Vortrag mit dem Titel "Die 'Heidelberger Kultur’ - ein Nachruf". Leider liegt mir nur die Kurzzusammenfassung von Ursula RINKEL-STEGER in Quartär 39 - 40, (im Literaturverzeichnis a1s ADAM, 1989) S. 233 ff, vor, so dass eine abschließende Beurteilung der vorgebrachten Argumente hier nicht möglich ist.

"Die von A. Rust postulierte ’Heidelberger Kultur' gründete sich zunächst auf wenige 1953 in der Sandgrube Grafenrain bei Mauer an der Elsenz aufgesammelte Buntsandsteingerölle. Rust interpretierte sie als Artefakte und wies sie dem Homo heidelbergensis zu. Durch weitere Aufsammlungen am locus typicus und im stratum typicum konnte der Fundbestand gemehrt werden. Auch an anderen Fundstellen wollte Rust Artefakte dieser Stufe erkennen, deren Kennzeichen jeweils lokaler Rohstoff, ’gutes-in-der-Hand-liegen' sowie Gruppierbarkeit nach Typen sein sollten. Als Beleg für das hohe Alter der `Geröllgeräte' ohne klare Bearbeitungsspuren wurde die Faunendatierung der jeweiligen Schichten herangezogen. Insgesamt wurde der 'Heidelberger Kultur' ein Zeitraum von über zehn Millionen Jahren zugeschrieben. Er sollte mit ins Miozän zu stellenden Artefakten vom Hövenegg im Hegau über Sulzfeld, Mauer und Süßenborn bis ins mittlere und jüngere Pleistozän reichen. Die Uniformität der `Artefakte' über Hunderttausende von Generationen bei Weiterentwicklung der menschlichen Hand wurde durch Verharren im Brauchtum begründet. Neben der langen Laufzeit schrieb Rust der 'Heidelberger Kultur' auch eine große geographische Verbreitung zu: Vom Kerngebiet Mitteleuropa aus sollte sie bis Vorderasien und Nordafrika ausgestrahlt haben; evtl. sogar bis in den asiatischen Raum und auf den amerikanischen Kontinent Als auf Pseudoartefakten basierendes Gedankengebilde sollte die `Heidelberger Kultur' nach dem Referenten zwar in die Forschungsgeschichte eingehen, aber keinen Platz in der modernen Urgeschichtsforschung haben.

Die Diskussion (Smolla, Bokelmann, Adam) behandelte die grundsätzliche Problematik von Pseudoartefakten und die Notwendigkeit einer kritischen Durchsicht einzelner Fundbestände." [S. 233-234]

Wie auch andere meinen, (siehe die Meinung Lutz FIEDLERs im nächsten behandelten Aufsatz), schießt der Vortrag weit an RUSTs Ausführungen vorbei (unterstellt einmal die Zusammenfassung ist "richtig"). So weist RUST eindeutig auf den nicht sicher belegten Zusammenhang der Funde von Hövenegg mit den Seeablagerungen, da die Funde aus dem Abraum der paläontologischen Grabung ausgesiebt wurden, hin:

"Zur Frage steht, ob die sekundär gelegenen Artefakte tatsächlich den unterpliozänen Seeschichten entstammen." [RUST,1971, S. 51]

Und weiter

"Es scheint mir nicht abwegig, zu glauben, dass die Erstergebnisse Brückners aus den Sedimenten von Hövenegg für die Geschichte der Menschheit in Europa und global von größter Bedeutung werden können.

Die bisherigen Befunde deuten auf eine Urbevölkerung hin, die unter günstigen biotopischen Bedingungen im Endtertiär über Millionen Jahre hinweg in Europa lebte." [RUST,1971, S. 71]

Hier steht deutlich zu lesen, das RUST hier Möglichkeiten aufzeigt, die seinem damaligen Kenntnisstand entsprachen und durch weitere Forschungen zu verivizieren oder falsivizieren sein würden. Aber vielleicht hat ADAM ja nur das Vorwort von RUST, 1971, S. 5, gelesen, in dem als erster Absatz steht:

"In der folgenden Abhandlung bringen wir weitere Fakten und Begründungen als Belege für die Existenz einer urmenschlichen Gruppe in Europa, deren manuelle Erzeugnisse als Steinwerkzeuge von archaischer Formung bis ins Endtertiär nachgewiesen werden können. Artefakte der Heidelberger Kulturen, deren Träger im Altpleistozän der Homo heidelbergensis war, wurden kürzlich auch in Nordafrika und in Vorasien entdeckt."

Diese Aussagen werden im Buche selbst natürlich ausgeführt und relativiert. In RUST 1965, S. 46 - 48 schreibt dieser:

"Wir können das endtertiäre Pliozän als jenen klimagünstigen, noch warmen Zeitraum ansehen, in dem der Mensch entstanden sein könnte. Ich halte es allerdings für möglich, dass das echte Eolitikum, also jener Entwicklungsabschnitt, in dem das technische Erfahrungssubstrat noch nicht zur Koordinierung eines festgefügten einheitlich individuellen Werkzeugbestandes herangereift war, bis ans Ende des Obermiozäns herabreichen könnte. Für die Richtigkeit dieser Hypothese liegen bisher aber keinerlei auch nur angedeutete Hinweise vor."

Weiterhin schreibt RUST in 1965, S. 56 ff:

"Kommen wir abschließend zur Frage nach dem Alter der Heidelberger Kulturen. Unsere Altersangaben sind allgemein als dem wirklichen Alter nur angenäherte Werte zu verstehen. Die jüngeren Heidelberger Funde von Wittenbergen bei Hamburg gehören einem Drente - Warthe – Interstadial oder dem Mindelrißinterglazial an. ....Als ältestes Werkzeugvorkommen vom Heidelberger Typ möchte ich einen sehr kleinen Anteil der französischen Chantalfunde ansehen. Diese Auffassung hat nicht das Geringste mit einer Rehabilitierung der sogenannten Eolithen zu tun. Ich möchte lediglich versuchen einen Weg aufzuzeigen, der über begründete und nachprüfbare technisch-typologische Kennzeichen vielleicht die Möglichkeit gibt Hinweise auf die Geburtsstunde der Menschen zu geben. Die Chantalfunde gehören dem Unterpliozän an ... . Sie führen uns vielleicht mehr als fünf Millionen Jahre in die Vergangenheit zurück.“

Wie ADAM aus all diesem seine zehn Millionen Jahre Heidelberger Kultur ableitet, ist mir unverständlich, zu beachten sind auch RUSTs vorsichtige Ausführungen, die jeweils von der Möglichkeit sprechen - im Sinne von Arbeitshypothesen - die noch weiter zu überprüfen sind. Weiterhin schreibt RUST auf S. 48:

"Die später zurückgehende Dominanz der Nasenschaber und der Querschaber in den Industrien der Altmenschen geht vielleicht auf handanatomische 'fortschrittliche' Bedingtheiten zurück, die diese neuen Formen, als am Besten angepaßt, erwachsen ließen!'

Wie dieses zusammen mit dem Verharren im Brauchtum (unter dem RUST versteht, dass, wenn die Bedürfnisse des Menschen befriedigt werden können, schnelle Veränderungen nicht nötig und von den Menschen auch nicht gewünscht werden [S. 49 - 56]), und RUSTs Ausführungen in 1971, S. 60 ff, über den Primitiv- und “Affengriff“ zu der Aussage: "Die Uniformität der Artefakte über Hunderttausende von Generationen bei Weiterentwicklung der menschlichen Hand wurde durch Verharren im Brauchtum begründet" [ADAM, 1989, S. 224] kann ich nicht nachvollziehen. Vielleicht liegt hier ein Mißverständnis oder eine zu starke Verkürzung der Argumentation des Vortrages vor? Zu der Bemerkung des "gutes-in-der-Hand-liegen" ist zu sagen, daß dieses bei nicht geschäfteten Steingeraten eine Grundforderung ist um mit ihnen a) längere Zeit b) mit hohem Kraftaufwand und c) mit hoher Genauigkeit zu arbeiten. Es ist also eine Grundvoraussetzung die RUST als gelerntem Handwerker wahrscheinlich einsichtiger war, als manchem "Schreibtischkollegen".

Zudem geht RUST 1965, S. 43 ff, ausführlich auf das Pseudoartefaktenproblem ein:

"Es sind Unmengen von Eolithen, die Pseudoartfakte sind, gesammelt worden. Formen dieser Art entstanden vor einer Milliarde von Jahren und früher sowie allen folgenden Zeiten, im Tertiär, im Pleistozän, und sie entstehen in der Jetztzeit noch täglich. Die formliche Variationsbreite solcher Objekte ist unendlich, denn es gibt auf der Erde keine zwei natürlichen Gesteinsstücke, keine durch natürliche Kräfte artefaktartig geformte Gesteinsstücke, aber auch keine von Menschen hergestellte Steinwerkzeuge, die sich völlig gleichen. Pseudoartefakte werden immer nur vereinzelt aufgefunden, und sie variieren 'technisch` weitgehend untereinander. …Von den Verfechtern der Eolithen wurde die praktische Anwendbarkeit der Pseudowerkzeuge demonstriert. Das ist keine Beweisführung für eine wirkliche Anwendung, die für Vorpliozäne Zeitabschnitte sowieso ausfällt. Nun ist es aber tatsächlich so, dass in Lagerstätten, die bis in älteste Erdabschnitte hinabreichen, natürlich geformte Stücke aufgefunden wurden, die geschlagenen Artefakten formlich ähnlich sind. Sie sind wie die Artefakte durch Stoß- oder Druckeinwirkung zugerichtet worden, und man könnte davon Tausende zusammentragen. Es gibt uralte Fundstücke, die eine Form aufweisen, die denen aus neuzeitlichen Kulturen nahekommen. Sie sind zum Teil mit einem Abschlagbulbus, mit glatten, eingebuchteten oder vorspringenden 'Retutuschierungen' ausgestattet und würde man passende Exemplare den jeweiligen Industrien einordnen, so würde es schwerfallen, diese 'Pseudowerkzeuge' bei gleicher Material und etwa gleicher Patina auszusondern!“

RUST ist sich also der Pseudoartefaktproblematik sehr bewußt und versucht stets Pseudoartefakte bei seinen Betrachtungen zur Heidelberger Kultur auszusondern. In den Archäologischen Informationen 14, 1991, S. 56 - 75, schreibt Lutz FIEDLER in der Rubrik Forschungsgeschichte über „Alfred Rust und Artefakte aus der Zeit des Homo Erectus“:

"... Seltsamerweise ging es in den Diskussionen um die vermeintliche 'Heidelberger Kultur', dabei nicht um die Vergleichbarkeit und die kulturelle Einordnung, sondern, es bildeten sich Fronten von Rustanhängern vor allem unter Heimatforschern in Norddeutschland, und Rustgegnern, vor allem unter Archäologen. Die ersten waren beglückt „altpaläolithische“ Funde in ihren Kiesgruben bergen und sammeln zu können und letztere waren entsetz über die z.T. recht phantasievollen Deutungen und Aufwertungen von Naturerzeugnissen, die nun ihre Museumsvitrinen füllen sollten. Der wissenschaftliche Opportunismus schoß gelegentlich genau so weit über das Ziel hinaus (ADAM 1987) [sic! Im Literaturverzeichnis als ADAM, 1989] wie der mancher Rustanhänger. [S. 57] …

Es geht hier also nicht um eine Rehabilitierung der Entdeckung von A. RUST, denn die mit altpaläolitischen Funden vertrauten Fachleute haben sie nie vollständig ablehnen können, sondern es kann heute ein Bild alt- und früh-mittelpleistozäne Kultur gezeichnet werden, in dem viele der behauenen Gerölle der sogenannten ’Heidelberger Kultur' einen angemessenen Platz im Kontext menschlicher Hinterlassenschaften finden. [S. 58] …

Alfred RUST hatte Recht, als er in den fünfziger Jahren nach den Artefakten des `Homo heidelbergensis' fragte. Er suchte und fand schließlich Artefakte der Zeit, aus der der Unterkiefer von Mauer stammte. Viele seiner damaligen Kritiker verstanden von der Problematik wenig und waren mit Funden des Altpaläolithikums nicht vertraut. Vielleicht könnte man heute sogar sagen, dass die deutsche Urgeschichtswissenschaft den Pionier im Stich gelassen hat und dass durch sachkundige und partnerschaftliche Diskussionen spätere Irrwege und Vorstellungen über eine `Heidelberger Kultur' vielleicht vermieden worden wären. Sicher kann man sagen, dass der Entdeckungs- und Forschungsstand ein anderer war, aber es ist zutiefst zu bedauern, dass ein erfolgreicher und verdienstvoller Steinzeitforscher gegen Ende seines Lebens in die wissenschaftliche Isolation geriet" [S. 64]



In dem schon öfter erwähnten Buch SCHICHTEN VON MAUER schreibt Lutz FIEDLER in dem Artikel "Steingeräte aus der Zeit des Homo erectus heidelbergensi ":

"... Deshalb schrieb Alfred Rust 1956: `Und doch lebten auch in Mitteleuropa im Frühpleistozän Menschen, wie der Unterkiefer des Homo heidelbergensis zweifelsfrei bezeugt'. Seit 1953 suchte er deshalb in den durch Kies- und Sandgruben aufgeschlossenen Ablagerungen des Ur-Neckars nach Artefakten. Was er fand, waren einige grob behauene Sandsteingerölle, die ganz und gar nicht in das bekannte Bild der aus Afrika und Westeuropa bekannten alt- und mittelpleistozänen Steingeräte zu passen schienen. Es fehlten die typischen groben Abbevillien-Faustkeile, und der Werkstoff, quarzitischer Werkstoff, schien wegen seiner geringen Stabilität für die Geräteherstellung zunächst ungeeignet. Rust versuchte, die neuen Funde nach einem eigenen Typensystem zu ordnen und sah darin eine bisher unerkannte selbständige Kultur des Heidelberger Vormenschen. Wie immer, wenn überraschend Neues bekannt wird, meldeten die Kenner Skepsis an. Der damalige Zweifel war nicht unberechtigt. Konnten so einfache Werkzeugformen mit ihrer groben Bearbeitung nicht auch durch natürliche Bewegungen und Druck im Schotter entstanden sein? Durch die von Rust selbst vorgestellten Heidelberger Typen aus den Ablagerungen eiszeitlicher Gletschermoränen Norddeutschlands wurde dieser Verdacht bestärkt. Schließlich erzeugte seine Theorie einer eigenständigen, seit dem Pliozän bestehenden Heidelberger Kultur bei den Fachleuten auch deshalb Ablehnung, weil die mittlerweile aus Afrika bekannte Sequenz der Steingerätentwicklung mit seiner Darstellung keinerlei Übereinstimmung zeigte. Heute, nahezu ein halbes Jahrhundert nach Rusts Entdeckungen wissen wir sehr viel mehr über frühe Kulturentfaltung und kennen die variantenreichen Werkzeugformen des altpleistozänen Menschen, des Homo erectus, sehr viel besser. Wir müssen feststellen, dass die damaligen wissenschaftlichen Fronten unnötig verhärtet waren und können Rusts Entdeckungen sachlicher beurteilen und würdigen.... [S. 76] ... Alfred Rust hatte recht als er bei der Suche nach Artefakten aus der Zeit des `Homo heidelbergensis' nicht nach Faustkeilen Ausschau hielt und grobe Chopper fand. Aber er irrte, als er glaubte, eine eigenständige Heidelberger Kultur gefunden zu haben. Man könnte heute höchstens von einer Heidelberger Fazies des Altpaläolitikums sprechen und damit Fundkomplexe meinen, deren Sandsteinartefakte nicht unbedingt von Naturprodukten abgrenzbar sind." [S. 82]

Auch in dem Aufsatz BEINHAUER, FIEDLER und WEGNER "Hornsteinartefakte von der Fundstelle des Homo erectus Heidelbergensis aus Mauer" schreiben die drei:

" ... Damit muss für Mauer nun auch ein Teil der von Alfred Rust in den fünfziger Jahren in der Grabe Grafenrain geborgenen grob behauenen Sandsteingerölle als Artefakte anerkannt werden (Beitrag: Fiedler, S. 74 ff.). Rust hatte sie 1956 mit Typenbezeichnungen versehen, die insgesamt ein bisher unbekanntes Spektrum innerhalb paläolithischer Inventare ergaben und ihn selbst an eine eigenständige Heidelberger Kultur des Vormenschen glauben ließen. Viele seiner Fundstücke sind aber nichts anderes als gewöhnliche Chopper. Leider war es Rust nicht vergönnt, auf die Funde von Karl F. R. Hormuth aufmerksam zu werden. Wahrscheinlich hätte er seine Entdeckung bei Kenntnis der Hornstein-Artefakte anders beurteilt. Ganz sicher wären aber die skeptischen Reaktionen vieler Fachkollegen ausgeblieben, die sich bis heute in Deutschland sehr hemmend auf die Erforschung alt-paläolithischer Artefakte aus Flußterrassen bemerkbar machen.

... Als Rust seine Funde aus Mauer veröffentlichte, stand er unter dem Bann einer zeitgemäßen Vorstellung von faustkeilfreien und faust-keilführenden Kulturen in der Altsteinzeit. Er ordnete seine Heidelberger Kultur einem Abschlag- und Chopperkreis zu, dessen Träger der Homo erectus gewesen sei." [S. 66 – 67]

Eine weiterhin kritische Haltung nimmt von KÖNIGSWALD in seinem Beitrag "Zur Ökologie und Biostratigraphie der beiden pleistozänen Faunen von Mauer bei Heidelberg" im selben Band ein;

"... Ich rechne es dem Herausgeber dieses Buches hoch an, dass ich hier derart kritische Bewertungen aus der Sicht des Paläontologen und Geologen als advocatus diaboli äußern kann. Auch die von Rust als Artefakte angesprochenen Buntsandsteinstücke aus Mauer ... verändern die Argumentation nicht grundsätzlich. Es steht mir nicht an, die archäologische Interpretation zu bewerten, doch will ich meinen Bedenken Ausdruck geben. Rust hat ausgewählte Buntsandsteinstücke als Artefakte beschrieben, die ein unterschiedliches Echo bei den Archäologen gefunden haben (Rust 1956). Der Buntsandstein gehört zur natürlichen F1ußfracht des Neckars und die natürliche Zerstörung des Buntsandsteins ist in Mauer erheblich, wovon ich mich als Mitarbeiter bei der Grabung von Prof. Dr. H. Mü11er-Beck im Herbst 1969 selber überzeugen konnte. Typische Werkzeugformen waren nicht auf Stücke von handlicher Größe begrenzt, sondern kamen ebenso bei weit überdimensionalen Blöcken vor. Nur eine systematische Analyse der natürlichen Schoterzerstörung kann zeigen, ob die als Artefakte diskutierten Stücke von den natürlich entstandenen Bruchstücken deutlich abgesetzt sind oder ob es die `schönsten' Stücke aus dem Gipfelbereich einer natürlichen Häufigkeitskurve sind." [S.105]



Zusammenfassend kann man sagen, dass RUSTs Ideen und Ansätze zu Unrecht keine weite Verbreitung gefunden haben, sondern bis in neueste Zeit abgelehnt wurden. Sicher hielten Teile seiner Hypothesen eine Überprüfung durch neue Forschungen nicht stand, aber er selbst hat ja darauf hingewiesen, dass die Forschungen zur Heidelberger Kultur noch in den Anfangen begriffen seien und vieles erst einmal vorläufig formuliert wurde. Aber anders als durch Hypothesenbildung und Hypothesentest kann der wissenschaftliche Fortschritt nicht zustande kommen. RUST hat die ersten Schritte einer langen Reise auf einem Weg getan, der ihm vielversprechend erschien. Nur hat es kaum jemand bemerkt und alle seiner Kritiker meinten wohl, RUST sei wieder auf dem Rückmarsch zur "Eolithenforschung" mit Pseudoartefakten.

Besonders hervorzuheben ist RUSTs Talent, die für den Gebrauch und die Handhabung wichtigen Feinheiten an den Fundstücken zu erkennen und zu beschreiben, wobei ihm seine handwerkliche Ausbildung als Elektriker sicher zugute kam. Dieses kam, zusammen mit RUSTs Werdegang als Wissenschaftler ("ein Selfmademan seiner Wissenschaft" PÖRTNER, 1961, S. 117), einigen "nur" Akademikern wohl zu suspekt vor, so dass seine Argumente auf taube Ohren stießen und nicht zur Kenntnis genommen wurden.

Ob der Terminus "Heidelberger" Kultur glücklich gewählt war und wir im Zusammenhang mit Steinartefakten, die zum größten Teil auch noch als Einzelfunde zu betrachten sind, von einer "Kultur" sprechen sollten, ist Ansichtssache.

Es bleibt abzuwarten, ob, sei es durch Zufall oder planmäßige Suche, einmal ein in situ Fund Homo erectus plus Ökofakte plus "Heidelberger" Geräte in Europa ausgegraben wird. Im Interesse einer Neubewertung der RUSTschen Ideen wäre es zu wünschen.



X. Literatur:


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1989 Die "Heidelberger Kultur"' - ein Nachruf. Vortrag zur 29. Sitzung der Hugo-Obermaier-Gesellschaft in Alsfeld. Referiert in: U. Rinke-Steger, Tagungsbericht, Quartär 39/40, 1989, S. 223 – 243



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1960 Das posthume Eolithenproblem in Deutschland. In: Forschung und Fortschritt, 34, S. 167 ff



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[1][1]In WERKZEUGE DES FRÜHMENSCHEN IN EUROPA, 1971, S. 9-10

[2][2]Höhe des Rückens zur Basis des Artefakts